i n t e r v i e w : s i l k e m ay e r
Liebe Frau Graichen, wann haben Sie mit dem Nähen
angefangen?
Mein erstes Stück habe ich als junges Mädchen in der Schule
genäht. Das war eine Bluse mit angeschnittenen Ärmeln, die
mir überhaupt nicht gefiel. Und dann habe ich auch noch unter
Anleitung meiner Mutter geschneidert. Als ich noch gar nicht
wusste, was Patchwork war und wie man das schrieb, habe ich
es im Prinzip schon betrieben, also aus Stoffresten ansprechende
Kleidung gemacht. In der DDR, wo ich aufgewachsen bin, war
das schiere Notwendigkeit. Wir haben uns oft Fotos aus West-
katalogen angesehen und nachgeschneidert.
Sie sind ja dann aber zunächst Frisörin geworden…
Das stimmt. Zum einen lag das an der Ausbildungssituation in
der DDR, zum anderen war der Frisörberuf für mich etwas,
in dem ich ebenfalls mit der Schere meine Kreativität ausleben
konnte. Auch als ich mit meiner Familie 1984 nach West-
deutschland kam, arbeitete ich erst einmal als Frisörin, privat
habe ich aber immer weiter genäht – für meinen Sohn, meinen
Mann und natürlich für mich selbst.
Und wie kam das Patchworken und Quilten in Ihr Leben?
Darauf bin ich zufällig gestoßen. Ich habe in einer Zeitschrift
davon gelesen und direkt Feuer gefangen. Dann habe ich mich
sofort zu einem Kurs angemeldet und mein erstes Stück an-
gefertigt – eine Tagesdecke von 2,5x3,5 Metern. Das war ein
richtiges Mammutprojekt. Da ich mittlerweile einen kleinen
Frisörsalon im eigenen Haus eingerichtet hatte, bekamen Kunden
meine Handarbeiten zu Gesicht. Ihre Begeisterung brachte mich
schließlich dazu, ein zweites Gewerbe anzumelden und mir
mit dem Nähen ein weiteres berufliches Standbein aufzubauen.
Heute teile ich meine Arbeitszeit etwa zu gleichen Teilen auf
beide Berufe auf.
Sie haben eine unglaubliche Bandbreite an schönen Patchwork-
arbeiten. Woher nehmen Sie Ihre Ideen?
Wir Quilter denken in Stoff. Wenn wir einen Stoff sehen, schnei-
den wir ihn gedanklich auseinander. Oder man sieht etwas und
denkt sofort: »Mensch, das mach’ ich aus Stoff!« Das können
alle möglichen Dinge sein, vom Handarbeitskorb bis hin zur
Kette. Die Ideen kommen einfach von ganz alleine. Manchmal
stehe ich nachts auf und mache mir Notizen. Oder ich gehe
an die Designwand und hänge Stoffstreifen auf, um die Idee
Angelika Graichen
Nelkenweg 7, 42718 Haan-Gruiten
Telefon 0 21 04/4 66 13
E-Mail:
sichtbar zu machen. Am liebsten mache ich große Decken und
ich mag die Herausforderung und knifflige Aufgaben wie z. B.
ein neues Muster.
Wie viel Zeit benötigen Sie für eine Arbeit?
Je nach Produkt vergehen von der ersten Idee bis zur Fertig-
stellung drei bis sechs Monate. Wenn man das umrechnet,
stecken mindestens 50, je nach Modell oder Muster oft sogar
100
Stunden in einer Arbeit. Zuerst mache ich immer eine Reihe
von Probestücken und hänge sie an das Designtuch, damit man
die Stoffe und die Farbnuancen direkt nebeneinander sehen
kann. So erkennt man, ob es in der Wirklichkeit genauso gut
aussieht wie im Kopf. Meine besondere Methode ist dabei,
durch einen Türspion zu schauen. Der bündelt nämlich größere
Flächen so sehr, dass man gut überschauen kann, ob die Farben
und Muster miteinander harmonieren.
Frau Graichen beim Planen.
Die Designwand.
Fotos
Thomas Höhndorf
Landzauber
53